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      Viele offene Fragen bei S21: Brandschutz und Leistungsfähigkeit
    PS-Redaktion am Montag, 14. November 2016, 14:00 Uhr

    Pressemitteilung und Anfrage der Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-PluS
    Stuttgart, den 14. November 2016

    Viele offene Fragen bei S21: Brandschutz und Leistungsfähigkeit

    Auch beim nachgebesserten Brandschutzkonzept der Bahn für den unterirdischen Bahnhof als Teil von Stuttgart 21, gibt es erhebliche Mängel. „Das bestehende Evakuierungskonzept geht davon aus, dass sich maximal 4000 Personen auf einem Bahnsteig aufhalten. In der Realität muss aber mit der Anwesenheit von mindestens 6500 Personen auf einem Bahnsteig gerechnet werden“, erklärt Dr. Kathrin Grewolls, öffentlich bestellte und staatlich vereidigte Sachverständige für vorbeugenden Brandschutz, die unrealistischen Annahmen des bestehenden Brandschutzkonzepts.

    Diese erhebliche Abweichung der Personenzahl ergibt sich aus dem Leistungsversprechen der Bahn. Wer die angekündigten 49 Züge in der Spitzenstunde durch den Bahnhof schleusen will, muss in der Realität nicht mit 4000, sondern mit 6500 Personen auf einem Bahnsteig rechnen. Dies habe erhebliche Auswirkungen auf die Evakuierung, so Dr. Grewolls weiter. An den Engstellen im Tiefbahnhof bilden sich dann erhebliche Staus. Im Brandschutznachweis werden dabei hohe Personendichten von bis zu sechs Personen pro Quadratmeter betrachtet. „Die geplanten Entrauchungsanlagen können die Bahnsteige nicht rauchfrei halten. Trotzdem benötigen die Menschen im Brandfall bis zu sieben Minuten bis sie die sicheren Treppenräume erreichen", erklärt die Sachverständige. "Auch wenn im Brandfall der Rauch in den Rettungswegen von der Bahn als tolerierbar betrachtet wird, so ist das für die betroffenen Personen als würde beim Grillen der Wind drehen“, veranschaulicht die Sachverständige die Situation. Die langen Evakuierungszeiten resultieren auch aus den bis zu 190 Metern langen Rettungswegen. „Auch wenn für ein solches Gebäude Erleichterungen von den gesetzlichen Vorschriften zugelassen werden, darf mit dieser Begründung nicht das Sicherheitsniveau abgesenkt werden“, fordert Dr. Grewolls. „Wer von solchen Szenarien ausgeht, nimmt eine Massenpanik und den Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf“, fasst Hannes Rockenbauch, Fraktionsvorsitzender von SÖS LINKE PluS, die Folgen des bestehenden Brandschutzkonzepts zusammen. „Bei der Loveparade in Duisburg drängten sich mehr als sechs Menschen auf einem Quadratmeter. Die Folgen sind bekannt: 21 Tote und über 500 verletzte Personen“, veranschaulicht Rockenbauch die Annahmen, mit denen die Bahn plant.

    Zielkonflikt zwischen Leistungsfähigkeit und Brandschutz

    Ein weiterer Aspekt ist der Zielkonflikt zwischen Leistungsfähigkeit und Brandschutz: „Einerseits geht die Bahn davon aus, dass 49 oder mehr Züge in der Spitzenstunde fahren, andererseits wird aus Gründen des Brandschutzes versprochen, dass sich immer nur ein Zug im Tunnel befindet“, verdeutlicht Thomas Adler, Fraktionsvorsitzender von SÖS LINKE PluS, die Widersprüche. Unter der Annahme, dass in der Spitzenstunde 49 Züge den Bahnhof anfahren, müssen in jedem Tunnel mindestens zwei zur gleichen Zeit fahren. Das bedeute in Konsequenz, dass sich die Bahn zwischen Leistungsversprechen und Brandschutz entscheiden müsse, „beides einzuhalten ist ausgeschlossen“, folgert Adler. Wenn sich die Bahn für wirksamen Brandschutz entscheide, sinke die Leistungsfähigkeit so dramatisch, dass das Leistungsversprechen nicht zu halten sei. In dem Fall sei die Vertragsgrundlage der Finanzierungsvereinbarung aus dem Jahr 2009 nichtig, so Adler weiter. „Schon dieser Widerspruch zwischen Leistungsfähigkeit und Brandschutz zeigt, dass Stuttgart 21 ein Rückbau von Kapazitäten im Schienenverkehr ist“, ergänzt Rockenbauch.

    Text des Antrags:
    Antrag und Anfrage
    Stadträtinnen/ Stadträte - Fraktion Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS

    Betreff: Offene Fragen zum S-21-Brandschutz- und zur Leistungsfähigkeit klären

    Die öffentliche S-21-Ausschuss-Sitzung am 15.11.16 soll zur Klärung offener Fragen hinsichtlich der Themen Brandschutz und Kostensituation bei S-21 beitragen. Eine Klärung offener Fragen setzt Transparenz und öffentliche Zugänglichkeit von entscheidungsrelevanten Unterlagen voraus. Nur auf einer sachlich fundierten Basis können Gemeinderäte verantwortungsvoll Entscheidungen treffen. Unserer Fraktionsgemeinschaft wurde die Akteneinsicht in die Brandschutzkonzepte und die zugrundeliegenden Brandschutz-Simulationen verweigert. Im Gespräch und bei Ausschuss-Sitzungen wurde uns zwar wiederholt versichert, dass die ausgewiesenen Experten der Bahn alles im Griff hätten und man sich auf deren Arbeit verlassen könne. In der Vergangenheit hatte sich jedoch mehrmals gezeigt, dass durch kritische Nachfragen und fachkundiges Prüfen von Experten der Kritikerseite Fehler in der Planung und Durchführung erkennbar wurden. Mit dem neuen Planänderungsantrag werden die stark kritisierten aber schon genehmigten Fluchttreppenräume nun tatsächlich umgeplant und an die Bahnsteigenden verschoben.

    Gerade bei den Gefahren für Leib und Leben im Brandschutz muss gewährleistet sein, dass die Grundannahmen etwa zu der zu entfluchtenden Personenanzahl auf den Bahnsteigen mit realistischen Szenarien hinterlegt werden. Die sachverständige Brandschutzexpertin Frau Dr. Grewolls sieht als großen Problempunkt die Evakuierung. Zum einen wird von einer deutlich zu geringen zu entfluchtenden Personenanzahl ausgegangen. Zum anderen treten dennoch unzulässig hohe Stauzeiten von 7 Minuten auf. Wir alle haben ein genuines Interesse an einem verlässlichen Brandschutzkonzept und benötigen daher Auskunft auf diese essentiellen Fragen. Nur so kann dem Beschluss im Verwaltungsausschuss vom 06.07.2016 entsprochen werden, nach dem in den S21-Ausschuss-Sondersitzungen "deutlich" werden sollte, "wo man steht und welche Fragestellungen" von wem "geklärt" werden müssten (Protokoll vom 06.07.2016, Niederschrift Nr. 257 TOP 3a und b, S. 5).

    Der erste Termin der S21-Ausschuss-Sondersitzungen am 26.10.2016 zu Leistungsfähigkeit und Zukunftsoptionen zeigte, wie schwierig diese Aufgabe unter den gestellten Rahmenbedingungen zu bewältigen ist (kurze Redezeiten, keine Diskussion unter den Experten, keine Nachfragen durch Gemeinderäte). Die sich widersprechenden Positionen von Kritikern und Projektumsetzern stehen nun ohne Klärung auf der Homepage der Stadt Stuttgart nebeneinander (http://www.stuttgart.de/item/show/466797/1/3/613936?plist=homepage). Und die von den Projekt-Kritikern in einem "Fragenkatalog" zu Protokoll gegebenen Fragen ( http://wikireal.org/w/images/0/04/2016-10-26_Zu_klaerende_Fragen.pdf) sind noch zu klären, wenn das Ziel verfolgt wird, den Fraktionen "belastbare Informationen" zur Verfügung zu stellen (Protokoll VA 06.07.2016 S.3).

    Wir beantragen daher:

    Die zuständigen Vertreter des Vorhabenträgers (DB Netz AG) und des Eisenbundesamts (EBA) werden aufgefordert, am 15.11.2016 insbesondere auf die folgenden offenen Fragen zum Brandschutz einzugehen:

    1. Die Entfluchtungssimulationen weisen Stand- bzw. Stauzeiten von 7 Minuten aus (Brandschutzkonzept BPK vom 22.04.2016 S. 82, 246) bei Gesamtentfluchtungszeiten von rund 14 Minuten. Dieser "signifikante Stau" (länger als 10 % der Gesamtentfluchtungszeit) ist nach dem vfdb-Leitfaden nicht zulässig (http://www.vfdb.de/download/Leitfaden2013.pdfS. 413, 415), er führt zu Panikverhalten wie bei dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg mit Gefahr für Leib und Leben der Reisenden. Wie rechtfertigt der Vorhabenträger diese langen Standzeiten?

    2. Sind Doppelbelegungen an den Bahnsteigen vom Brandschutzkonzept abgedeckt? Welche Zahl liefert die EBA-Formel für Doppelbelegungen mit vier Zügen à sechs Doppelstockwaggons an einem Bahnsteig? Kann diese Personenzahl rechtzeitig evakuiert werden?

    3. In den Tunneln soll ein brennender Zug in die Bahnsteighalle zurückrollen können. Kann demnach etwa im Fildertunnel immer nur ein Zug pro Tunnelröhre fahren? Im Stresstest befahren zwei und bei Verspätung drei Züge gleichzeitig eine Röhre des Fildertunnels. Wie stark reduziert sich die Leistungsfähigkeit, wenn nur ein Zug pro Röhre zugelassen wird und auch immer ein Bahnsteiggleis für zurückrollende Züge freigehalten wird?

    4. Die nach der S21-Ausschusssitzung vom 26.10.2016 fortbestehenden Widersprüche zur Leistungsfähigkeit sowie die entsprechenden Fragen des Fragenkatalogs werden einander gegenübergestellt und zwischen Kritikern und Bahn bzw. MVI abgestimmt. Die dabei erzielte Einigung über wesentliche Sachverhalte bzw. die verbleibenden Diskrepanzen werden anschließend dem S21-Ausschuss vorgelegt.

    Nachfolgende Fragen richten sich vordringlich an Vertreter des EBA; gegebenenfalls kann ein Vertreter des EBA noch kurzfristig eingeladen werden, andernfalls erbitten wir eine schriftliche Beantwortung der nachfolgenden Fragen:

    5. Müssen zum Nachweis der Machbarkeit Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit der Anlage gleichzeitig nachgewiesen werden oder können mit verschiedenen Betriebsprogrammen einmal die geforderte Leistung und ein anderes Mal der Brandschutz nachgewiesen werden?

    6. Als Nachweis der Leistungsfähigkeit führt der Vorhabenträger inzwischen den sogenannten Stresstest von 2011 an. Dazu führt das EBA aus, der Vorhabenträger habe mit dem "Stresstest" "plausibel aufgezeigt, dass das beantragte Vorhaben für eine über den erwarteten Verkehrsbedarf hinausgehende Leistungssteigerung um dreißig Prozent taugt" (PFA 1.3a Planfeststellungsbeschluss S. 142). Der Stresstest setzt Doppelbelegungen voraus, die viel höhere Entfluchtungszahlen begründen. Dazu verlautbarte das EBA, dass "erst zur Inbetriebnahme" über den "Brandschutznachweis" und "betriebliche und technische Regelungen" entschieden würde ( St.N. 20.03.2015). Kann dann, wenn ggf. Doppelbelegungen verboten werden müssen, die geforderte Leistungssteigerung noch garantiert werden (Begründung)?

    7. Das EBA führte zur Zahl der zu evakuierenden Personen an ( Genehmigung 6. PÄ vom 23.04.2015): "Die Ermittlung erfolgte im Einklang mit dem Leitfaden für den Brandschutz in Personenverkehrsanlagen der Eisenbahnen des Bundes." Wozu der Brandschutzsachverständige Dr. Portz geurteilt hatte (PFA 1.1 6. PÄ EBA-Akte S. 533): "Die Personenzahl wurde nach der Formel für die größtmögliche Personenzahl nach EBA-Leitfaden ermittelt und ist somit sicher." Sind zur bestimmungsgemäßen Anwendung der EBA-Formel auch die zutreffenden Eingangsgrößen einzusetzen, d.h. die Züge, die tatsächlich geplant sind? Inwieweit wurde das Brandschutzkonzept durch einen unabhängigen "Prüfer des EBA" geprüft (Erläuterungen zum Leitfaden für den Brandschutz S. 12), wenn zur 6. Planänderung der Gutachter Dr. Portz von dem Vorhabenträger bezahlt wurde (PFA 1.1 6. PÄ EBA-Akte S. 209)?

    Anlagen:
    Pressemitteilung im PDF-Format:
    http://www.parkschuetzer.de/assets/termine/2016/2016-11-14_PM_Viele_offene_Fragen_bei_Brandschutz_und_Leistungsfaehigkeit.pdf

    Antrag und Anfrage vom 09.11.2016:
    http://www.parkschuetzer.de/assets/termine/2016/2016-11-09_Offene_Fragen_S21.pdf

    Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS
    Ansprechperson: Thomas Adler und Hannes Rockenbauch
    Geschäftsstelle Fraktion,
    Rathaus Stuttgart, www.soeslinkeplus.de

Wichtige Dokumente

  • Für Stuttgart 21 gibt es viele Gründe und bessere Alternativen, die nur einen Bruchteil kosten, von Karl-Dieter Bodack: PDF, 250Kb
  • Diverse Gutachten (kopfbahnhof-21.de)
  • Was kostet der Ausstieg aus Stuttgart 21?, VCD Baden-Württemberg e.V.
    PDF, 1,7Mb
  • Das Lügengebäude muss fallen, Dr. Liesel Hartenstein, ehem. MdB (SPD)
    PDF, 2,5Mb