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Pressemitteilung des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21
Stuttgart, den 7. September 2016Generaldebatte im Bundestag und vertagte Entscheidung des Bahn-Aufsichtsrats
Aktionsbündnis fordert Grundkonsens für zukunftsfähige Bahn
Rede von Dr. Eisenhart von Loeper,
Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21,
am 7. September 2016 in BerlinWir Bürgerinnen und Bürger aus der Demokratiebewegung gegen Stuttgart 21 sind heute wieder in Berlin vor Ort, um am Bahntower und anlässlich der Generaldebatte des Bundestags Flagge zu zeigen. Uns geht es um das Scheitern dieses Großprojekts, das den BER noch um Längen übertrifft.
Unser Gegenpol ist der staatseigen privatisierende Schienen(ab-)baukonzern Deutsche Bahn, nicht minder die Politik „ganz oben“. Die Personalie des in den Bahnvorstand aufgestiegenen Ex-Kanzleramtschefs Ronald Pofalla steht für die partei- und machtpolitische Verflechtung von Bund und Bahn: So ließ sich im Prozess gegen das Kanzleramt belegen, wie sehr Pofalla im ersten Quartal 2013 auf Geheiß der Kanzlerin die sachwidrige Weiterbau-Entscheidung des Bahn- Aufsichtsrats zu Stuttgart 21 durchgedrückt hat. Aber uns geht es um mehr:
Der hoch verschuldete Staatskonzern hat besorgniserregend mit Wissen der politischen Führung die wahren Verhältnisse „schön gerechnet“ und sich dem Verdacht strafbarer Untreue ausgesetzt (siehe www.strafvereitelung.de ).Die Bahn hat die Wahrheit grob verschleiert, ihr Vermögen verschleudert und ihre Aufgabe verfremdet. Und der Bund, der Aufsichtsrat und die Staatsanwälte haben beide Augen zugedrückt. So haben die Bahnchefs Rüdiger Grube und Volker Kefer zwar ihre jahrelang praktizierte schuldhafte Verschleierung von 1,1 Milliarden Euro Mehrkosten von S 21 als „Kalkulationsdifferenz“ eingestanden. Und im Dossier des Bundesverkehrsministeriums vom Februar 2013 hatte es geheißen, die Haftung des Vorstands dafür sei zu „verorten“. Aber weder der Aufsichtsrat noch der Bund oder die Projektpartner in Land und Stadt zogen Konsequenzen. Das gleicht einer staatseigenen Mauschelei mit milliardenschweren Schadensverursachern.
Die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern: Die vertragliche Obergrenze der Projektkosten von 4,526 Milliarden Euro wird sich mindestens auf rund zehn Milliarden Euro verdoppeln. Bleibt die Bundesregierung weiter untätig, obwohl der Bundesrechnungshof sie davor warnt und die Projektpartner keine Mehrkosten übernehmen? Da gibt es die stereotype Ausflucht , S 21 sei das „eigenwirtschaftliche Projekt der Bahn“. Mit diesem Versteckspiel verleugnet die Bundesregierung unübertreffbar unverhohlen und unverantwortlich die staatliche Beeinflussung für den Weiterbau des Projekts und die verfassungskräftige „Gewährleistungsverantwortung des Bundes für den Erhalt und Ausbau des Schienennetzes“ (Art. 87 e Absatz 4 Grundgesetz). Und sie missachtet den Grundkonsens der Demokraten auf Einhaltung von Gesetz und Recht.
Deshalb sind die Bahn-Aufsichtsräte zur gesetzlichen Aufsicht gefordert. Mitte März 2016 hatten sie elektrisiert reagiert auf unseren Vorhalt, dass ihre persönliche Haftung für die Inkaufnahme einer Schädigung der Bahn bei S 21 in Frage stehe. Warum das daraufhin in Auftrag gegebene Kostengutachten zur Aufsichtsratssitzung diese Woche nicht vorliegt, erweckt den Verdacht, dass versucht wird, das Versagen durch Vertagen zu vertuschen. Unerträglich erscheint es uns auch, dass klammheimlich bleibt, nach welchen Maßstäben die Auftragsgutachten erstellt werden sollen. Mit solcher fehlenden Transparenz verspielt die Bahn ihre Glaubwürdigkeit ein weiteres Mal.
Erschreckend ist, dass die Regierungspolitik sich der Bahnpolitik bemächtigt, wenn ungesetzliche, parteipolitisch orientierte Einflüsse zur Geltung kommen sollen. Im Übrigen aber spielt die Bahn in dieser Auto-Republik bisher eine blamabel untergeordnete Rolle (treffend SZ vom 2. August 2016).
Wir wollen es als engagierte Freunde der Bahn nicht zulassen, dass die Zukunftsfähigkeit der Bahn zur illusionären Worthülse verkommt.Uns zeigen die abgründigen Turbulenzen um Stuttgart 21, dass es keinen Sinn macht, mit diesem Projekt fortzufahren und den Bahnkonzern damit vollends an die Wand zu fahren. Es ist an der Zeit, aus S 21 auszusteigen und den Bahnverkehr im Südwesten zu stärken und zukunftsfähig zu machen.
Politisches Format ist gefragt: Als sich Angela Merkel vor einigen Jahren bereits dezidiert zu „Stuttgart 21“ im Sinne der Zukunftsfähigkeit Deutschlands bekannte, hat sie es leider unterlassen, diese Frage gründlich zu untersuchen. Richtig ist: im Verkehrssektor zukunftsfähig werden, heißt öffentlichen Verkehrssystemen Vorrang vor dem Individualverkehr geben. Was aber bewirkt Stuttgart 21?1. Die Halbierung von sechzehn oberirdischen auf acht unterirdische, nicht erweiterbare Gleise verringert die Leistungsfähigkeit des Bahnhofs, der auch reduziert wird zum Aus- und Einsteigehalt ohne Umsteigequalita?t. Das widerspricht dem Verfassungsauftrag für den Ausbau der Schiene. Die Mogelei mit dem Stresstest beruht auf unzulässiger Doppelbelegung der Gleise, die Bahnreisende verstärkt gefährdet.
2. Die Kanzlerin ist einer fatalen Falschinformation aufgesessen, als sie mit der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und München einen wirtschaftlichen Boom unterstellte wie beim Ausbau des Schienennetzes zwischen Hamburg und Berlin. In Wahrheit lassen sich zwar mit der Neubaustrecke Wendlingen- Ulm etwa 25 Minuten Fahrzeit einsparen, das betrifft aber nicht das Teilprojekt S 21 ( Umstiegsbroschüre Seite 29).
3. Nachhaltig nicht zukunftsfähig ist die S 21- Durchgangshaltestelle, der sogar die Bahnhofsqualität laut EBA-Präsident fehlt, ferner zweifach: Zum Einen erzeugt der gewaltige Höhenunterschied von sechs Metern mit über 15 Promille eine um sechsmal steilere Neigung der Gleise und Bahnsteige als eigentlich zulässig und gefährdet dadurch Leben und Gesundheit der Bahnreisenden insbesondere bei ungebremst wegrollenden Zügen. Zum Anderen sind die Bahnsteige so eng bemessen, dass die Fluchttreppenhäuser weit entfernt ans Ende der Bahnsteige verlegt werden, damit also den Brand- und Behindertenschutz vereiteln. Im Ergebnis werden den Bahnreisenden mit S 21 somit nachhaltig – nämlich täglich für kommende Jahrzehnte – Lebensgefährdungen zugemutet. Sie sind unvereinbar mit dem Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen, die verfassungskräftig als unsere höchsten Rechtsgüter Geltung beanspruchen.
4. Gerade die politische Prominenz, die in anderen Bereichen gerne den Grundkonsens für Werterhalt und Verfassungstreue einfordert, müsste nun vehement vermeidbare Gefährdungen der Bahnreisenden ausschließen und die Bahn stärken. Will die Kanzlerin wirklich damit in den Wahlkampf ziehen, dass sie diesen Grundkonsens und selbst verkündete Leitprinzipien der Bundesregierung verletzt? Will sie sich das antun? Oder will sie klug auf das Konzept des Umstiegs 21 eingehen, welches die Vorzüge des neu zu gestaltenden, zukunftsfähigen Kopfbahnhofs mit der sinnvollen Nutzung vieler Baumaßnahmen verbindet, die bereits für S 21 ausgeführt wurden. Das würde allen Projektpartnern dienen und der Bahn fünf bis sieben Milliarden Euro einsparen.
5. Die Bundesregierung kennt die klare Kritik des Bundesrechnungshofs am Verhalten ihrer Staatssekretäre anlässlich des Weiterbaus von S 21. Sie sollte jetzt auf dieses Signal hören, um die zukunftsfähige Bahn durch Umstieg von S 21 in Fahrt zu setzen. Wer den politischen Frust von Wahlniederlagen und das Erstarken der AfD ernst nimmt, muss selbst zukunftsweisendes Format zeigen und mit Altlasten wie S 21 aufräumen. Denn zukunftsfähig ist nur der Umstieg. Und der braucht den ernsthaften Dialog, damit die Zukunft zum Zuge kommt.
Oben Bleiben.
Rede im PDF-Format:
http://www.parkschuetzer.de/assets/termine/2016/Rede_des_Buendnissprechers-7_9_2016_Berlin.pdfPressemitteilung zum gleichen Thema vom 4.9.2016: Zukunftsfähig ist nur der Umstieg
http://www.parkschuetzer.de/blog/831
Wichtige Dokumente
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