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Stuttgart, den 14.01.2013
Der Redebeitrag von Dieter Reicherter,
ehem. Vorsitzender Strafrichter des Landgerichts Stuttgart und Mitglied bei den Juristen zu S21,
auf der heutigen 156. Montagsdemo auf dem Marktplatz.
Liebe Freundinnen und Freunde,als mir das Thema „Schuldhafte Untreue“ vorgegeben wurde, fand ich das missverständlich. Eine unverschuldete Untreue kann ich mir kaum vorstellen, weder im zwischenmenschlichen Bereich noch gar beim Umgang mit 5,6 oder vielleicht 10 Milliarden Euro beim bestgeplanten Projekt der Geschichte. Treffender scheint mir „Stuttgart 21 und die Untreue der Verantwortlichen“.
Das passt auf Minister Nils Schmid, den wir vielleicht bald verlieren werden, weil er geeignet erscheint, in Berlin und Brandenburg eine Volksabstimmung zum Nichtausstieg der Länder beim neuen Flughafen zu organisieren und das Projekt dort durch Gestattungsverträge zum Abschuss von geschützten Vögeln zu fördern. Es passt auch auf Ex-OB Schuster, der in Gutsherrenmanier Schadensersatzansprüche der Stadt hat verjähren lassen. Das Thema passt ferner auf Bahnvorstände, falls sie durch Fehlplanungen und Kostenlügen das Vermögen der Deutschen Bahn geschmälert haben sollten. Und es passt auch auf Mitglieder des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn AG, falls sie ihre Kontrollpflichten gegenüber dem Vorstand nicht wahrgenommen haben sollten oder dies künftig nicht tun werden.
Denn Aufsichtsratsposten sind nicht, wie man nach den Mappus-Mails vermuten könnte, gut bezahlte Ausruhposten für Menschen, die sich politische Unterstützung bezahlen lassen, sondern Schleudersitze mit persönlicher Haftung. Dagegen helfen noch nicht einmal Haftpflichtversicherungen, denn die zahlen bekanntlich bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nicht, und schon gar nicht schützen sie vor dem gelegentlich scharfen Schwert des Strafrechts.
An dieser Stelle danke ich ganz herzlich meinen Freundinnen und Freunden bei den Juristen zu Stuttgart 21, an erster Stelle Rechtsanwalt Arne Maier mit seiner fundierten Stellungnahme zu Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats. Ohne die Unterstützung dieser tollen Menschen wäre es nicht möglich gewesen, die jetzige Rechtslage beim Projekt Stuttgart 21 und mögliche Konsequenzen für die Verantwortlichen so klar herauszuarbeiten.
Zu sprechen ist über den Finanzierungsvertrag mit seinen Rechten und Pflichten. Er gibt den Rahmen vor. Demnach besteht ein Kostendeckel, der – wie alle wissen – gesprengt ist. Was nun? Eine Nachschusspflicht der Projektpartner ist nicht festgelegt. Gegenwärtig ist das Ziel dieser Gesellschaft nicht mehr erreichbar, nämlich Projektdurchführung zum vereinbarten Preis. Entweder ändert man den Vertrag einvernehmlich und regelt, wer alle entstehenden Kosten einschließlich Mehrkosten und Risiken zu tragen hat, nicht nur die durch Fehlplanung der Bahn entstandenen „Peanuts“ von 1,1 Milliarden, oder aber wegen Zweckverfehlung ist die Geschäftsgrundlage entfallen und weitere trotzdem geleistete Zahlungen erfolgen ohne Rechtsgrund. Denn derzeit ruhen die Ausführungspflichten des so nicht mehr erfüllbaren Vertrags.
Wer von den Verantwortlichen trotzdem meint, ohne Konsequenzen, auch und gerade persönlicher Art, sich weiter durchmogeln zu können, der hat allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nicht überall gibt es einen Oberstaatsanwalt, von dem sie meinen, keine Strafverfolgung befürchten zu müssen.
Sehr genau wird zu prüfen sein, wer sich auf welche Weise strafbar gemacht haben könnte, wenn jetzt Entscheidungen getroffen und weitere Fakten geschaffen werden, die sich als Schädigung der zu betreuenden Vermögen erweisen könnten. Denn wer ein Vermögen zu betreuen hat, der hat auch genau definierte Pflichten. Das gilt nicht nur für einen Sparkassendirektor, sondern beispielsweise auch für einen Wirtschafts- und Finanzminister. Man denke nur an den derzeitigen Strafprozess in Rheinland-Pfalz gegen einen Ex-Minister im Zusammenhang mit der Affäre um den Nürburgring.Wer ohne Rechtsgrundlage – denn diese fehlt derzeit angesichts der Zweckverfehlung des Finanzierungsvertrags – weitere Zahlungen erbringt und einen Gestattungsvertrag unterschreibt, der handelt voll auf eigenes Risiko und stürzt möglicherweise mit in den Abgrund einer Bauruine. Es muss noch nicht einmal ein endgültiger Schaden entstehen. Schon eine Vermögensgefährdung, die man lediglich billigend in Kauf genommen hat, reicht für die Tatbestandserfüllung der Untreue gemäß § 266 des Strafgesetzbuches aus. Und diese Vorschrift droht schon im Normalfall Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren an, bei großem Schaden sogar eine Mindeststrafe von sechs Monaten und eine Höchststrafe von zehn Jahren. Davor schützt auch keine Volksabstimmung, über die die Landesabstimmungsleiterin zutreffend geschrieben hat: „Nachdem die Gesetzesvorlage die nach der Landesverfassung erforderliche Stimmenmehrheit nicht erreicht hat, hat sich insoweit auch keine Änderung der Rechtslage ergeben.“
Und die Ausrede, man habe das Fiasko nicht kommen sehen, wird bei einer Unterschrift unter einen Gestattungsvertrag für den Rosensteinpark auch nichts mehr nützen, wenn die Bäume, ein stattlicher Vermögenswert für das Land, gefällt und geschreddert sein werden. Denn dann wird man Nils Schmid an das mir schriftlich übersandte Eingeständnis der Landesregierung zum Schlossgarten erinnern müssen, „dass die Baumfällungen zwar rechtlich zulässig und genehmigt, aber durch die Verzögerungen sachlich nicht geboten waren“. Innenminister Gall, ebenfalls von der SPD, hatte vor den Baumfällungen erklärt, die Bahn habe das Baurecht und seine Polizei müsse das Recht durchsetzen. Wird er das beim Rosensteinpark wieder tun?
Auch die Verantwortlichen der Bahn kann ich nicht beruhigen. Die Vorstandsmitglieder schon deswegen nicht, weil sie es an jeder Transparenz und Ehrlichkeit haben fehlen lassen. Wie soll man da feststellen, sie hätten sich gegenüber dem von ihnen geführten Unternehmen nicht untreu, sondern treu verhalten? Haben sie es doch in ein finanziell nicht zu überblickendes Abenteuer geführt.
Die Aufsichtsratsmitglieder auch nicht. Sie haben den Vorstand zu kontrollieren und zu überwachen. Sie müssen das Unternehmen ebenfalls vor Schaden bewahren. Dazu gehört eine fundierte Nachprüfung der behaupteten Wirtschaftlichkeit und der behaupteten Ausstiegskosten, aber auch der Geltendmachung von Regressansprüchen gegen die Mitglieder des Vorstands, die man auch nicht einfach verjähren lassen darf. Und selbst Direktiven von Mutti entlasten die Aufsichtsräte von ihrer persönlichen Haftung und strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht.
Deswegen müssen die Partner auf jeden Fall miteinander reden, und zwar sofort! Wir wollen keine Wegducker, sondern verantwortliche Politiker, die Schaden von Bürgerinnen und Bürgern abwenden. Dafür haben wir sie schließlich gewählt. Und dazu gibt es die Sprechklausel im Vertrag. Wir wollen, dass die Verantwortlichen einen gemeinsamen Weg nach vorne beschreiten und eine faire Lösung finden. Diese kann angesichts nicht zu bewältigender finanzieller, juristischer und technischer Probleme nur zu einer einvernehmlichen Beendigung führen.
Wir brauchen keinen neuen Bahnhof, weil wir – zumindest bis zu den Abrissorgien – schon einen funktionierenden alten hatten.
Wir wollen OBEN BLEIBEN!!!
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