Java Script ist deaktiviert. Bitte aktivieren Sie Java Script, um diese Seite in vollem Umfang nutzen zu können.


Haben Sie Kinder?

Der Brief von Stuttgarter Kinder an OB Schuster

Dann wird es Sie vielleicht interessieren, was OB Wolfgang Schuster an die zwei engagierten jungen Verfasser des obigen Briefs schrieb, die sich um den Erhalt des Schlossgartens und des Hauptbahnhofs sorgen. Seinen tief blicken lassenden Antwortbrief ließ er während des Kommunalwahlkampfs 2009 mehrere Monate lang auf die offizielle Stuttgarter Homepage stellen.

Lesen Sie bitte zuerst den Originalbrief von Wolfgang Schuster an die beiden Kinder, denn unsere Entgegnung hinterfragt und zerpflückt in (hoffentlich) kindgerecht verständlicher Weise dessen Vorlage.

Brief des Oberbürgermeisters an die Parkschützer-Kinder

Vielen Dank für Euren Brief! Und vielen Dank, dass Ihr Euch Sorgen um die Bäume in Eurer Stadt macht! Die Bäume tun unserer Stadt gut. Sie reinigen und kühlen die Luft und lassen die Menschen durchatmen. Heslach ist sogar von zwei Seiten mit grünen Hügeln umrahmt, eine wunderschöne Lage!

Also es wäre wirklich ein ganz dummer Tausch, für einen neuen Bahnhof einfach Bäume zu opfern. Über den neuen Bahnhof und die Tunnels wird viel erzählt. Aber manches stimmt eben einfach nicht. Und manches stimmt, aber es ist auch nicht die ganze Wahrheit! Das kennt Ihr auch: Jemand fragt euch streng etwas, und dann gibt man eine kurze Antwort. Man lügt zwar nicht, aber man weiß eigentlich ganz genau, man müsste noch etwas sagen, und das lässt man dann lieber weg. Wohl fühlt man sich dabei aber nicht. Ich weiß nicht, wie die sich fühlen, die immer nur erzählen, dass für den neuen Bahnhof Bäume gefällt werden. Mir wäre an deren Stelle nicht wohl.

Es stimmt, dass der neue Bahnhof, der das Zugfahren rund um Stuttgart und durch ganz Europa schneller und bequemer macht, so liegt, dass für die Bauarbeiten Bäume im Schlossgarten gefällt werden müssen. Niemand macht das gerne. Und viele Menschen - ich auch - genießen das Grün des Schlossgartens. Viele Familien verbringen dort schöne Stunden. Eine Baustelle mittendrin für viele Jahre ist natürlich erst einmal ärgerlich.

Aber die Wahrheit ist eben auch das: Der jetzige Bahnhof, der Euch so gut gefällt, war vor 100 Jahren, als Eure Urgroßväter oder Ururgroßväter lebten, eine riesige Baustelle. Viele, viele Gleise wurden gelegt, Brücken wurden gebaut, Hügel und Dämme und Schotter aufgeschüttet, Weichen, Stellwerke und Waggonhallen kamen dazu. Und überall, wo heute Gleise sind, standen vorher Bäume. Es gibt viele alte Bilder, auf denen man das sehen kann. Und wenn Ihr heute auf die Aussichtsplattform des Bahnhofsturmes geht, seht ihr, wie riesig die Fläche mit Bahnsteigen und Gleisen ist, die sich wie ein Band aus Metall über grüne Flächen gelegt hat. Ehrlich, das finde ich nicht schön!

Durch den neuen Bahnhof fahren die Züge auf einer ganz anderen Strecke, durch Tunnel. Natürlich könnt Ihr jetzt sagen, durch Tunnel zu fahren, ist nicht so schön wie entlang von Parks zu fahren. Aber für Tunnel müssen keine Bäume weichen, für Gleise oben drüber zwischen Bäumen mussten sie es.

Moment, werdet ihr jetzt sagen: Für den neuen Bahnhof müssen jetzt aber doch auch Bäume gefällt werden. Stimmt. Aber wenn der neue Bahnhof gebaut ist, im Jahr 2020 etwa, dann werden die vielen, vielen Gleise, die zum alten Bahnhof führen, nicht mehr gebraucht. Das Bahnhofsgebäude und sein Turm, wie ihr ihn kennt und mögt, die bleiben natürlich stehen. Aber die ganzen alten Gleisflächen verschwinden. Was passiert dann dort? Wir bauen Büros und Wohnungen. Wir bauen sie so, dass sie grüne Innenhöfe und Dachgärten haben. Wir machen aber noch etwas anderes: Wir lassen den Busbahnhof neben dem Bahnhof und die Straße, die jetzt zwischen Schlossgarten und Bahnhof entlang führt, und die hässlichen, hohen Mauern aus Beton dort verschwinden und lassen den Schlossgarten größer werden. Auch der Rosensteinpark, den ihr wahrscheinlich kennt, er liegt rund um das Naturkundemuseum Schloss Rosenstein, auch der wird größer werden, wo heute noch Gebäude und Lastwagen der Post stehen. Auf all den Flächen von Stuttgart 21, wo heute noch Gleise sind, werden also nicht nur hübsche Häuser und Plätze für viele Menschen entstehen, sondern auch 20 Hektar neuer Park. 20 Hektar, das ist etwa so groß wie 60 Fußballplätze. Wenn also zwar 200 bis 300 Bäume weichen müssen, damit ein neuer Bahnhof gebaut werden kann, wenn aber danach die riesige Fläche von Gleisen frei wird, auf denen wir 5000 neue Bäume für Stuttgart haben wollen, ist das dann nicht ein fairer und vernünftiger Tausch? Wenn der neue Bahnhof fertig gebaut ist, kann man dann auf Rasen über ihn hinwegspazieren. Der ganze Schlossgarten bleibt zusammen, wird größer, und endlich kann man ihn von allen Seiten betreten, kreuz und quer durchlaufen, ohne dass plötzlich Mauern und Bahngleise den Weg stoppen.

Vielleicht wollt ihr mit Euren Freundinnen und Freunden und Eltern beim nächsten Besuch in der Stadt einfach mal ins Rathaus kommen. Im Erdgeschoss haben wir ein riesiges Luftbild der Stadt auf den Boden montiert. Auf Glasplatten könnt ihr über dieses Luftbild laufen und könnt sehen, wie groß und grün die neuen Parkflächen sein werden, und wie groß und hässlich heute die Gleisanlagen sind, die unsere grüne Stadt durchschneiden. Die Wackelkarten, die ich Euch mit dem Brief schicke, zeigen schon ganz gut, wie es jetzt aussieht und wie es später aussehen wird, wenn wir mitten in der Stadt Platz für neue Bäume, Plätze und Wohnungen im Grünen haben werden.

Wahrscheinlich denkt Ihr jetzt, der Oberbürgermeister kann uns ja viel erzählen! In 10 Jahren sitzt er vielleicht gar nicht mehr im Rathaus, und wer weiß, wie viele Bäume dann wirklich gepflanzt werden!

Deshalb noch ein Vorschlag: Ihr schreibt mir mal einen Termin, an dem Ihr Ende Juni auf jeden Fall zuhause seid. Dann kommt jemand vom Gartenbauamt der Stadt bei Euch in Heslach vorbei und bringt zwei Setzlinge. Wir überlegen, wo die gut hinpassen, und Ihr pflegt die Bäume in den nächsten Jahren. Wenn die Gleise weg sind, und der neue Bahnhof fertig ist, werden die auf dem Gelände von Stuttgart 21 eingepflanzt und kriegen Euer Namensschildchen. Vielleicht findet Ihr noch mehr Freundinnen und Freunde, die in den nächsten 10 Jahren Bäumchen pflegen, die dann ihren Platz im Europaviertel, im Rosensteinviertel oder im Schlossgarten oder im Rosensteinpark finden.

Grüße nach Heslach!

Wolfgang Schuster
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart

PS: Fast hätte ich es vergessen: Der neue Bahnhof wird ja auch gebaut, damit mehr Menschen Zug fahren. Statt mit dem Auto zu fahren. Oder das Flugzeug zu benutzen. Zugfahren wird schneller und bequemer. Das Umsteigen in Stuttgart wird viel bequemer als im Kopfbahnhof jetzt. Und auf den Fildern oben am Flughafen bekommen wir einen neuen Bahnhof für Regionalzüge und die schnellen ICEs. Dann werden auch viele nicht mehr mit dem Auto zum Bahnhof in die Stadt fahren. Und viele, die weite Flugreisen machen, können statt mit dem Auto mit dem Zug zum Flughafen kommen. Ihr könnt Euch vorstellen, wie gut es für die Bäume auf unserem ganzen Planeten ist, wenn Menschen den Zug benutzen - statt Auto oder Flugzeug! Auch deshalb bauen wir den neuen Bahnhof. Mit der U14 seid Ihr ja sowieso in ein paar Minuten dort.


Offener Brief der Parkschützer an die jungen Schlossgartenfreunde – oder: Wie der Oberbürgermeister Schuster Stuttgarts Kinder täuscht.

Liebe briefschreibende Schlossgartenfreunde. Da hat euch der Oberbürgermeister aber einen langen Antwortbrief geschickt. Richtig viel Mühe hat er sich gegeben, um eure Sorgen um den Schlossgarten zu zerstreuen. Aber obwohl er darin beklagt, dass wir, die wir gegen die Zerstörung des Schlossgartens und des Kopfbahnhofs kämpfen, euch nur die halbe Wahrheit erzählen würden, macht er selbst genau das, was er so ungerecht findet, nämlich euch nur die halbe Wahrheit zu sagen. Er weiß eigentlich ganz genau, dass er noch mehr sagen müsste, und lässt das dann lieber weg. Wir wissen nicht, wie er sich dabei fühlt. Uns von der Bürgerinitiative wäre an seiner Stelle jedenfalls nicht wohl.

Damit ihr am Ende selbst richtig entscheiden könnt, ob ihr die Pläne vom Oberbürgermeister und seinen Helfershelfern gut finden sollt oder nicht, liefern wir euch mit diesem Brief diejenigen Informationen nach, die er euch verschwiegen hat.

Also, wenn er euch (und uns) ganz streng sagt, dass zwar vorne am Bahnhof 200 bis 300 Bäume gefällt werden müssten, dafür aber später einmal, wenn sein Tiefbahnhof fertig ist, weiter hinten 5000 neue Bäume auf den Flächen gepflanzt würden, auf denen heute die Gleise liegen, dann hat er schon zum ersten Mal gelogen. Denn wie eine Zeitung herausgefunden hat, wären 5000 Bäume auf der Fläche, die er für seine lauthals angekündigte Parkerweiterung vorgesehen hat, kein Park mehr, sondern ein Wald. Das mag euch zunächst nicht schlimm vokommen, denn mehr Bäume scheinen auf den ersten Blick besser zu sein als weniger Bäume. Aber dazu müsst ihr wissen, dass auf den heutigen großen geschotterten Schienenflächen am Abstellbahnhof Rosenstein jede Menge seltene Pflanzen und Tiere leben, die das helle Sonnenlicht zum Leben brauchen und keinen Schatten. Und genau deswegen hat das Amt, das die ganzen Baupläne kontrolliert, dem Bürgermeister und seinen Helfershelfern auch vorgeschrieben, für einen Ersatzlebensraum für diese Tiere und Pflanzen zu sorgen. Und das geht halt mal nicht mit einem Wald, sondern nur mit einem Park mit vielen offenen Wiesenflächen. Ausserdem hat der Journalist der Zeitung herausgekriegt, dass es auf der ganzen Welt nirgends so viele Bäume in der Größe zu kaufen gibt, in der sie der Oberbürgermeister und seine Helfershelfer den Stadtbewohnern versprechen. Das ist ganz schön gemein, das dann trotzdem den Menschen so andauernd vorzugaukeln.

Aufgetürmt

Bei weitem nicht alle Kinder leben auf Stuttgarts grünen Hängen. Die Innenstadt-Jugend ist dringend auf den Erhalt und die Nutzbarkeit des zentral gelegenen Schlossgartens angewiesen.

Die schlimmste Täuschung begeht er aber mit noch was ganz anderem. Nämlich mit dem Zeitpunkt, zu dem er euch (und uns) zum Trost für das Abholzen der jetzigen großen alten Parkbäume seinen Ersatzpark verspricht. Schaut euch die Stelle in seinem Brief daraufhin mal ganz genau an: Für wann verspricht er euch und uns das? Richtig: „Im Jahr 2020 etwa“! Erst dann werden „die vielen, vielen Gleise, die zum alten Bahnhof führen, nicht mehr gebraucht.“

Nun ist Mathe zwar nicht gerade das Lieblingsfach der meisten Kinder, aber es lohnt sich schon einmal nachzurechnen, wie alt ihr dann sein werdet, bis nach den Worten des Bürgermeisters die „vielen, vielen Gleise“ nicht mehr gebraucht werden. Denn solange sie eben doch noch gebraucht werden, können gar keine Ersatzbäume gepflanzt werden. Denn während der gesamten Bauzeit des neuen Bahnhofs müssen ja alle Züge weiter über diese Flächen nach Stuttgart Hauptbahnhof fahren. Erst wenn der neue Tiefbahnhof mitsamt seinen fast 60 Kilometer langen Maulwurftunnels fix und fertig ist, können der Oberbürgermeister und seine Helfershelfer anfangen, die Gleise rauszureissen und die Jungbäumchen einzusetzen. Bis dahin seid ihr (und wir) aber wenigstens 10 Jahre älter! 10 wertvolle Lebensjahre ohne den schönen Park ganz nah bei der Stadt! Das ist eine irre lange Zeit!

Aber es kommt noch dicker. Denn habt ihr euch schon mal überlegt, wie groß die Baum-Setzlinge nach 10 Jahren sein werden, die euch der Bürgermeister von seinem Gartenbauamt bringen lassen will? Fragt mal eure Eltern oder einen Gärtner. Die werden euch sagen, dass ein Jungbäumchen, je nach Sorte, mindestens 50 bis 80 Jahre braucht, bis es wieder die Größe erreicht, die die schönen Parkbäume jetzt haben, unter denen wir im Sommer im Schatten liegen können, und die da stehen, wo der Oberbürgermeister seinen Tiefbahnhof hinbauen will.

Wir wissen nicht, wie alt ihr seid. Aber das brauchen wir auch gar nicht genau zu wissen. Denn eines ist sicher, so sicher wie die Mathematik: Wenn frühestens in 10 Jahren der Boden für die Ersatzbäume des Oberbürgermeisters freigemacht werden kann, und ein Jungbäumchen mindestens 50 Jahre braucht, bis es auch nur halbwegs mit den prächtigen jetzigen Parkbäumen mithalten kann, dann seid ihr schon Omas und Opas – und wir, die wir euch mit einer Generation Altersvorsprung diesen Brief schreiben, sind dann sogar schon tot.

Das ist aber noch immer nicht die ganze schlimme Wahrheit. Darf ich euch bitten, noch einmal die Stelle mit der Jahreszahl im Brief des Oberbürgermeisters genauestens unter die Lupe zu nehmen? Da steht nämlich noch was dabei – ein klitzekleines Wörtchen, das man leicht überliest. Richtig: „Etwa“ steht da! „Im Jahr 2020 etwa“, sagt der Oberbürgermeister, wird der neue Bahnhof fertig gebaut sein. Das musste er so schreiben, denn er weiß es nämlich selbst nicht genau, wann man damit tatsächlich fertig sein wird.

Der Biergarten im Schlosspark

Frei herumtoben im Park und danach eine Erholungspause z.B. im Biergarten würde schon bald nicht mehr gehen. Stattdessen würden auf dem gezeigten Gelände schwere Baumaschinen hinter den Bauzäunen toben. Einer dieser Bauzäune, mit denen die verschiedenen Baugruben gesichert würden, würde direkt an den Biergarten angrenzen.

Niemand weiß das genau. Und das kommt daher, dass der neue Bahnhof mit seinen 60 Kilometer Tunnels so ein riesiges Projekt ist, dass es dafür in ganz Europa kein Beispiel gibt, an dem man ablesen könnte, wie lange es woanders gedauert hat. Das sagt der OB übrigens ganz stolz selber bei jeder Gelegenheit, dass mitten in Stuttgart die größte Baustelle Europas sein wird. Nur euch hat er das nicht gesagt in seinem Brief. Denn sonst würdet ihr ja womöglich auf die Idee kommen, dass es am Ende noch viel länger dauern könnte als die eh schon irre langen 10 Jahre, bis er und seine Helfershelfer überhaupt anfangen können, die Gleise abzutragen und die neuen Jungbäumchen zu setzen.

Denn fragt nur einmal eure Eltern, wenn sie Zeitung lesen, ob so ganz große teure Bauprojekte schon jemals rechtzeitig fertig wurden? Die werden euch bestätigen können, dass das leider fast nie der Fall ist. Meistens dauert alles viel länger als geplant, weil zum Beispiel beim Tunnelbohren Probleme mit Wassereinbrüchen oder schwierigen Felsgesteinen auftreten. Oder weil mitten während der Bauzeit das Geld ausgeht und man die Baustelle Jahre ruhen lassen muss, bis die Rechnungen wieder bezahlt werden können. So wie die weltweite Lage derzeit aussieht, ist das übrigens so wahrscheinlich wie noch nie. Denn einerseits werden so große Bauprojekte unterwegs oft mehr als doppelt so teuer wie ursprünglich geplant. Und andererseits bekommen gleichzeitig die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg immer weniger Steuergeld von den Bürgern und den Firmen, weil der Oberbürgermeister trotz vieler Warnungen von Umweltschützern den Firmen nicht rechtzeitig genug geraten hat, nicht so teure und spritschluckende Autos zu bauen, die jetzt niemand mehr kaufen will, weil sie auch noch das Klima kaputt machen.

Also, es kann gut sein, dass die Baustelle statt in 10 erst in 15 oder 20 Jahren fertig werden wird, ehe der Oberbürgermeister damit anfangen kann, seinen versprochenen Ersatzpark zu pflanzen, der dann noch einmal 50 bis 80 Jahre braucht, bis die Jungbäumchen zu ebenso großen Bäumen herangewachsen sind, wie wir sie derzeit im Schlossgarten haben und mögen. Wenn also beim Bauen vieles nicht so läuft wie geplant – und auf einer so riesigen Baustelle kann ganz schön viel schief laufen –, kann es sogar sein, dass selbst ihr, die ihr viel jünger seid als wir, die jetzige Parkbäumepracht, die der Oberbürgermeister euch (und uns) wegnehmen will, bis zum Ende eures Lebens nicht noch einmal erleben werdet! Was denkt ihr? Ist das wirklich der „faire und vernünftige Tausch“, den euch der Oberbürgermeister in seinem so freundschaftlich daher kommenden Brief anbietet?

Der Spielplatz im Unteren Schlossgarten

Dieser Spielplatz im Unteren Schlossgarten hat zwar noch eine ganze Weile Ruhe vor den Stuttgart-21-Bauarbeiten. Doch spätestens nach Fertigstellung des Tiefbahnhofs soll auch hier mit dem Abriss der bis zu zehn Meter hohen kilometerlangen massiven Betonwände des Abstellbahnhofs Rosenstein begonnen werden, die auf dem Bild zwischen den Baumreihen hindurch lugen. Ob da dann das Spielen in unmittelbarer Sicht- und Hörweite noch Spaß macht?

Vielleicht werden jetzt ein paar von euch, die eher praktisch veranlagt sind und die sich nicht mit dem Oberbürgermeister rumstreiten wollen, sagen: Moment mal, die Baustelle ist ja nur vorne am Parkanfang, dann gehen wir halt weiter hinten in den Park, dort werden ja keine Bäume gefällt.

Stimmt. Und stimmt auch wieder nicht. Vielleicht habt ihr schon mal gehört, dass so große Bäume, wie wir sie jetzt im Park haben, ganz schön viel Wasser brauchen, damit sie sogar in der größten Hitze so schön saftig grüne Blätter behalten. Dieses Wasser nehmen sie mit den Wurzeln aus dem Boden auf. Vorausgesetzt, sie kommen mit den Wurzeln an das Wasser im Boden ran. Das ist heutzutage der Fall, denn da, wo heute unser Park ist, war früher einmal ein Sumpfgelände, und noch heute fließt da ganz schön viel Wasser wenige Meter unter dem Rasen durch das Erdreich. Wenn da aber so viel Wasser im Boden steckt, was glaubt ihr, passiert dann, wenn die Bagger erst mal anfangen werden, die tiefe Grube für den neuen Bahnhof auszugraben? Richtig, dann läuft das Wasser aus dem Erdreich in die Grube und dann hat der Oberbürgermeister statt einem Bahnhof einen Hafen mitten in der Stadt. Also haben die Bauingenieure vorgesehen, starke Wasserpumpen zu installieren, um das Grundwasser abzupumpen, damit die Grube nicht voll läuft. Wenn jetzt aber die starken Pumpen immer mehr Wasser aus dem Erdreich abpumpen, dann sinkt natürlich auch der Wasserpegel im benachbarten Erdreich, und dann kann es sein, dass die großen durstigen Bäume mit ihren Wurzeln plötzlich nicht mehr an das Wasser unter sich rankommen, das sie brauchen, um die Sommerhitze zu überstehen. Und so kann es kommen, dass selbst diejenigen Bäume, die der Oberbürgermeister stehen lassen will, und zwischen die sich manche von euch weiter hinten in den Park legen wollten, vertrocknen und absterben. Und dann hätten wir den Salat – dann wären sie nämlich doch gestorben, obwohl man sie gar nicht fällen wollte.

Wenn der Oberbürgermeister diese Zeilen lesen würde, würde er jetzt natürlich sagen, dass er alle Bäume, die stehen bleiben, von den Mitarbeitern seines Gartenbauamts jeden Tag gießen lassen will, damit sie nicht vertrocknen. Das glauben wir ihm gerne, dass er das wollte. Aber kann man wirklich darauf vertrauen, dass zehn Jahre lang pünktlich jeder der vielen hundert durstigen Bäume, die weiter hinten stehen, ausreichend gegossen werden, damit sie überleben? Da bekäme das Gartenbauamt ganz schön dicke Rechnungen von den Wasserversorgungsunternehmen für etwas, was vorher der Regen und der regenspeichernde Boden ganz umsonst geliefert haben. Wenn das in den Zeiten, wo das Geld hinten und vorne fehlt, bloß mal nicht schief geht.

Laubkranz

Genau dort, wo heute ein dichter Blätterwald die Erholungsuchenden vor den Umgebungsgeräuschen der Großstadt abschirmt, würde sich bei "Stuttgart 21" das lärmende Herz der „größten Baustelle Europas“ befinden.

Ein weiterer wichtiger Grund, weshalb das „Sich-weiter-hinten-in-den-Park-Legen“ keine wirkliche Lösung ist, liegt in dem andauernden Gebrumme von Lastwagen. Ich habe weiter oben schon mal kurz erwähnt, dass zu dem neuen Bahnhof auch ein riesiges, fast 60 Kilometer langes Tunnelnetz gehört. Wo man so lange Tunnels bohrt, da fällt aber auch eine riesige Menge Erde und geborstener Steine an. Diese Menge Erde und Steine muss aber auch irgendwohin abtransportiert werden, sonst würde ja mitten in der Stadt eine riesige Geröll- und Dreck-Pyramide aufgehäuft werden. Einer von uns, der gut in Mathe ist und das mal genau wissen wollte, hat ausgerechnet, dass diese Schutt-Pyramide glatt doppelt so groß sein würde wie die berühmte weltgrößte Pyramide in Ägypten. Wer dort schon mal war oder Bilder von dort kennt, weiß, dass man so ein Monstrum mitten in der Stadt nicht gut haben kann. Das weiß auch unser briefschreibender Oberbürgermeister, und deshalb plant er, den ganzen Dreck auf LKW's zu verladen, damit die ihn fortbringen. Aber für so eine Riesenmenge braucht man natürlich jede Menge LKW's. Und was glaubt ihr, wo diese vielen LKW's mit all dem Geröll beladen werden? Genau: Mitten im Park, dort wo heute die schöne große Liegewiese ist! Dort soll ein langes Förderband enden, das den ganzen Dreck aus den Tunnelstollen zu der Verladestelle mitten im Park befördert. Was glaubt ihr, was das für einen Lärm und Staub macht, wenn dort am Tag bis zu 2400 LKW's beladen werden?! Mag ja sein, dass das eine zeitlang ganz interessant ist, zuzugucken, wie dort beladen wird, aber nach einem halben Tag hat man davon dann genug und dann will man vielleicht wieder seine Ruhe, und die gibt’s dann im Park aber jahrelang nicht mehr. Denn weil da so viel Dreck aus dem Berg kommt, geht das viele Jahre lang jeden Tag so. Nun habt ihr bestimmt alle schon einmal Baustellen besucht. Die LKW's, die da rumfuhrwerken, sind ganz schön riesig und ganz schön laut, und aus ihren Auspuffrohren kommen ganz schön dicke schwarze Dieselrußschwaden. Und nun stellt euch vor, wie tausende solcher LKW-Fuhren jeden Tag von und zur Verladestelle im Park donnern – und nun sagt selbst, ob ihr wirklich glaubt, dass das dann noch eine Erholung ist, wenn man sich einfach in den angrenzenden Teil des Parks legt, der stehen bleibt?

Wie wir den Oberbürgermeister kennen, würde er auch hier wieder protestieren und schimpfen, dass wir euch schon wieder nur die halbe Wahrheit erzählen. Denn wir haben ja noch nicht erwähnt, dass er eine hohe Bretterwand zwischen der Baustraße und dem Park errichten lassen will, damit man die LKW's vom Park aus nicht mehr sieht und nicht mehr hört und riecht. Was meint ihr: Ob das viel hilft? Ihr könnt ja mal den Test machen und euch an einer Baustelle mit großen Baggern und LKW's hinter eine Bretterwand oder eine Mauer stellen, und dann sperrt ihr die Ohren auf und stellt euch vor, wie ihr euch im Park ausruhen wollt und wie ihr dann diese Begleitmusik finden würdet.

Baustellenzaun

Wir könnten euch noch viel mehr erzählen, was da so alles auf die Parkbesucher und die armen Baustellenanwohner zukommt, wenn der Oberbürgermeister wirklich anfängt, seinen Bahnhof zu bauen. Zum Beispiel von der halben Million schwerer Rammschläge, mit denen dreieinhalbtausend Betonpfähle von starken Hammerschlagmaschinen in den Untergrund getrieben werden sollen, damit der neue Bahnhof nicht mit der Zeit in den Boden einsinkt. Diesen ohrenbetäubenden Krach wird auf jeden Fall kein noch so hoher Bauzaun abhalten können. Ja, es steht zu befürchten, dass man diese Rammschläge sogar noch in den fernsten Teilen des Parks hören wird. Aber davon haben wir schon in dem Bericht „Was dem Park alles blüht“ geschrieben, den ihr auch auf dieser Internet-Seite finden könnt. Ich mach jetzt lieber mal Schluss, weil unser Brief schon doppelt so lang geworden ist wie der Brief vom Oberbürgermeister. Aber der hat euch ja auch immer nur die halbe Wahrheit erzählt.

Eure Parkschützer von www.parkschuetzer.de

PS: Fast hätte ich es vergessen: Wenn ihr endgültig herausfinden wollt, ob es der Oberbürgermeister mit seinem Brief an euch wirklich ehrlich gemeint hat, dann knöpft euch nochmal wie richtig gute Wort-Detektive super genau seinen PS-Absatz vor. Darin versucht er erst einmal eure Herzen zu gewinnen, indem er sich als ganz großer Umweltschützer ausgibt. Das klingt richtig gut, wenn er schreibt, „Der neue Bahnhof wird ja auch gebaut, damit mehr Menschen Zug fahren. Statt mit dem Auto zu fahren. Oder das Flugzeug zu benutzen.“ Aber dann erwähnt er etwas, was gar nicht gut dazu passt, dass die Menschen weniger fliegen sollten: „Oben am Flughafen bekommen wir einen neuen Bahnhof für Regionalzüge und die schnellen ICEs“. Das ist schon merkwürdig, dass er erst rät, weniger mit dem Flugzeug zu fliegen, und dann kommt raus, dass er die schnellen ICE's vom Tiefbahnhof zum Flughafen fahren lassen will. Was transportieren denn die ICE's zu seinem neuen Flughafen-Bahnhof? Frische Luft? Nein, natürlich nicht, sondern Menschen. Menschen, die fliegen wollen!

Und jetzt schaut bitte ganz genau hin, denn jetzt kommt ein wirklich ganz schön fieser schlauer Trick von ihm, wie er das hindreht, damit ihr glaubt, dass der Flughafen-Bahnhof nur der Umwelt nützt. Er schreibt: „Und viele, die weite Flugreisen machen, können statt mit dem Auto mit dem Zug zum Flughafen kommen. Ihr könnt Euch vorstellen, wie gut es für die Bäume auf unserem ganzen Planeten ist, wenn Menschen den Zug benutzen – statt Auto oder Flugzeug!“

Wenn ihr nicht von alleine draufkommt, wo der Trick drinsteckt, dann fragt euch mal, wieviele Kilometer die Menschen, die eine weite Flugreise machen, mit dem ICE zum Flughafen fahren, und wieviele Kilometer sie dann fliegen. Da werden die Bäume auf unserem Planeten aber erleichtert aufatmen, wenn die Menschen, „die weite Flugreisen machen“, künftig die ersten 10 ihrer meist tausende Kilometer langen Reisestrecken mit dem Zug statt mit dem Auto zurücklegen! Im übrigen können Fluggäste auch jetzt schon auf Schienen zum Flughafen kommen, ohne den Park kaputt zu machen: nämlich mit der S-Bahn! Also, darum kann es ihm nicht gehen. Aber um was könnte es dann gehen? Vielleicht um die Schnelligkeit und Attraktivität, wie man zum Flughafen kommt? Wenn die Fahrt zu einem Flughafen aber attraktiver wird, dann gewinnt ein Flughafen in aller Regel auch mehr Passagiere hinzu, die von dort fliegen. Und dann geht es den Bäumen auf dem ganzen Planeten, um die sich der Oberbürgermeister in seinem Brief scheinbar so große Sorgen macht, nicht besser, sondern noch schlechter als schon heute. Genau das aber, so glauben wir, ist das wahre Ziel des Oberbürgermeisters mit seinem neuen Flughafenbahnhof: mehr Passagiere zum Flughafen zu bringen als bisher. Oder was glaubt ihr, warum auch der Flughafen-Chef ein paar hundert Millionen Euro zu dem Bahnhofsprojekt unseres Oberbürgermeisters beisteuert? Das tut er bestimmt nicht, damit die Leute, die mit dem Zug zu seinem Flughafen hochkommen, nur Löcher in die Luft starren, oder? An Luftlöchern verdient er nichts. An mehr verkauften Flugtickets schon.

Laubdach

Nach all dem Gesagten kommen wir zu dem Schluss, dass ein Oberbürgermeister, der sich den Kindern seiner Stadt gegenüber als Umweltschützer ausgibt, in Wirklichkeit aber den Bäumen im Schlossgarten wie auf dem ganzen Planeten nur schadet und eine ganze Generation Stadtkinder um ihren Park betrügt, schleunigst zurücktreten sollte. Denn so einer ist ein scheinheiliger Lügner! Ganz ehrlich.

Fotos: Klaus Gebhard c/o parkschuetzer.de